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Alt 01.10.2006, 09:12
bobbylee bobbylee ist offline
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Registriert seit: 04.12.2005
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Standard AW: Diagnose Darmkrebs traf wie ein Hammer!

Ach, liebe Silvia,
ich nehm dich mal ganz fest in den Arm und hoffe, dass du heute früh wieder eine bessere Stimmung hast. Deine Gefühle sind doch ganz normal. Auch mir ging und geht es manchmal nicht anders. Der Krebs hat natürlich das Leben ganz gewaltig verändert, weil er Grenzen aufgezeigt hat. Das Leben fließt in den seltensten Fällen immer gleichmäßig und friedvoll dahin. Ich habe es schon an anderer Stelle einmal mit einem Fluss verglichen, der dann halt an manchen Stellen wilder und ganz unberechenbar wird und da muss man durch. Dass die Angst immer wieder aufflackert ist Teil davon. Irgendetwas tut weh, es wird doch nicht .....???? Die Nachsorge naht, ein mulmiges Gefühl macht sich breit. Das Positive, was die Krankheit meiner Meinung nach im Normalfall nach sich zieht, ist, dass man viel bewusster lebt, alles viel bewusster wahrnimmt, so auch die kleinen Freuden des Lebens, die so oft in die Gleichgültigkeit oder das Vergessen abgerutscht sind. Oder, dass man auch mit den Mitmenschen anders umgeht, mit den Menschen, die einem lieb sind, behutsamer, mit denen, die einen "ärgern" gleichgültiger.Man erkennt, dass Dinge , die einen früher auf die Palme gebracht haben, es garnicht wert sind , sich aufzuregen. Und ein gewisser gesunder Egoismus sollte auch da sein. Ich höre ja seit meiner Krankheit noch mehr als sonst auf meinen Körper , meine innere Stimme, und wenn ich das Gefühl habe, dass ich jetzt einmal an mich denken soll, Pause machen soll, relaxen, mir etwas Gutes tun, dann mache ich es. Dazu gehört auch einmal "nein" sagen, wenn mir etwas nicht passt. Und auch "ja" , wenn ich Lust habe, ganz spontan etwas zu unternehmen, auch wenn zuhause der Schreibtisch voll liegt. Für mich ist die Krankheit ein Zeichen, dass ich etwas ändern muss, dass irgendetwas falsch gelaufen ist. Das sagte mir eine entfernte Verwandte , die diese Erkenntnis von ihrer Reha mitbrachte (sie hatte Brustkrebs ein Jahr bevor ich krank wurde) . Ich selbst habe ja keine Reha gemacht, hatte nach fast vier Wochen Krankenhaus und anschließender sechsmaliger Chemotherapie ( immer eine volle Woche stationär nach drei Wochen zuhause und das ein halbes Jahr lang) erstmal die Nase voll von Kliniken. Aber diese Erkenntnisse muss man pflegen. Wie schnell man später in den alten Trott hineingerät, sobald die Zeit der Krankheit immer weiter zurückliegt , habe ich letztes Jahr gemerkt.Gott sei Dank, habe ich dann auf mein inneres Gefühl gehört, ich arbeite jetzt wieder weniger und nütze die gewonnene Zeit für mich und mein Wohlergehen. Ich tue dies ohne schlechtes Gewissen, ich bin auch niemandem Rechenschaft schuldig, nur mir, und wenn Leute kommen und sagen :"Ach , hast du es gut", denke ich mir meinen Teil. Ich glaube kaum, dass diese Leute vor ein paar Jahren mit mir hätten tauschen wollen und jetzt auch noch nicht. Das sind übrigens auch die , die neidisch sind , weil ich durch den Schwerbehindertenstatus einíge Vorteile habe. Diese Menschen sollten einem sowieso den Buckel hinunterrutschen, wie man bei uns so schön sagt.

Wenn du einmal den Blues hast wie gestern, - das gehört dazu, um die Ereignisse zu verarbeiten. Heute ist ein neuer Tag, lass neue Gefühle an dich heran, Hoffnung, Optimismus, Freude. Kennst du das Lied "Turn, Turn, Turn" von den Byrds? War in den 60ern ein Hit und einer meiner Lieblingssongs. Alles im Leben hat seine Zeit, Trauer und Freude, Geboren werden und Sterben. Wenn es keine dunklen Momente im Leben gäbe, könnten wir die hellen garnicht so schätzen und vor allem genießen.

So, hoffentlich war ich jetzt nicht zu philosophisch am frühen Morgen. Hab mir halt alles vom Herzen geschrieben, was ich dir sagen wollte.
Dir und Manfred wünsche ich einen wunderschönen Sonntag
und ganz liebe Grüße
Bobby Lee

Geändert von bobbylee (01.10.2006 um 09:16 Uhr)
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