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Alt 18.03.2006, 12:37
Benita Benita ist offline
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Standard AW: diffuses Astrozytom III und Strahlentherapie

Liebe Dagmar,

es ist wirklich der Hammer, was da in der Rehaklinik abgelaufen ist. Bei meinem Mann war es zwar nicht so krass, sein Zustand war sicherlich auch besser als der deines Vaters, trotzdem hat ihm die Kur gar nichts gebracht.
Im Gegenteil, die Versorgung hier zu Hause mit Lymphdrainagen und Massagen war wesentlich effektiver. Es ist eine riesengroße Schweinerei. Da kassieren die Rehakliniken viel Geld und es wird nichts für diese Patienten getan.
Vielleicht solltest du den Kostenträger mal darüber informieren.

Was deine Trauer und Hilflosigkeit anbetrifft, kann ich dich nur allzugut verstehen. Vielleicht tröstet es dich, dass dein Vater selbst nicht spürt, dass er teilweise seiner Würde beraubt ist. Ich finde es ok, wenn du an die guten alten Zeiten denkst, du solltest dich mit deinen Gedanken jedoch nicht so zermürben. Es bringt weder dich, noch deine Eltern weiter.

Als mein kleiner Sohn an einem Hirntumor erkrankte, war ich auch vollkommen verzweifelt. Auch ich wollte ein gesundes Kind. Hatte viele Pläne, Hoffnungen und Wünsche. Die Erkenntnis, dass unser Leben nie mehr so laufen wird, wie wir es uns gewünscht haben, hatte mich vollkommen durcheinander gebracht.
Ich war sauer und wütend auf mich, meine Freunde, die Ärzte und mein gesamtes Umfeld. Ich war ständig auf der Suche nach einem Schuldigen. Dann wieder viel ich in ein großes Loch der Hoffnungslosigkeit. Ständig rissen mich meine Gefühle hin und her und ich hatte das Gefühl, vollkommen durchzudrehen. Ich war mit der Situation absolut überfordert. Erst als ich unser Schicksal annehmen konnte, beruhigte ich mich. Ich habe die letzten Wochen mit meinem Sohn ganz bewusst erlebt. Alles was er tat, saugte ich in mich auf, weil ich wusste, dass ich seine Berührungen und Küsse, sein unglaublich liebevolles Wesen irgendwann verlieren sollte. Heute bin ich froh darüber, denn diese Momente kann mir kein Mensch mehr nehmen.
Nun stecke ich mit meinem Mann in der gleichen Situation. Doch meine Lebenserfahrung hilft mir, besser damit umzugehen. Ich plane nicht mehr lange in die Zukunft und suche jeden Tag positive Dinge, die mich und meine Lieben erfreuen und nehme die negativen Dinge als unabwendbar hin, ohne mich davon belasten zu lassen. Das ist vielleicht auch eine Art der Verdrängung, doch ich lebe sehr gut damit. Ich denke, dass unsere psychische Belastbarkeit begrenzt ist und so sollte man sich selbst vor einer Überbelastung schützen.

Ich wünsche dir und deiner Mutter viele schöne und auch glückliche Momente und hoffe, dass du bald wieder auf die Spur kommst um mit all dem Elend zurecht zu kommen.

Liebe Grüße Benita
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