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Alt 17.03.2006, 11:01
schwarzwaldmädle schwarzwaldmädle ist offline
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Standard AW: diffuses Astrozytom III und Strahlentherapie

Hallo ihr Lieben,

mal wieder ein Zwischenbericht:

Mein Paps ist am Mittwoch endlich nach hause gekommen. Die Bestrahlung hat absolut nichts gebracht und die Reha war ein Graus.

Die ließen ihn einfach im Zimmer im Rollstuhl sitzen und kümmerten sich um nichts bei ihm weil sie wohl dachten, dass es eh keinen Sinn mehr hat. Am Montag kam ich hin um 11.30 Uhr (meine Mutter musste zu hause warten weil das Pflegebett und Rollstuhl geliefert wurden) und da saß mein Paps ganz zusammen gesunken im Rollstuhl und spielte mit einem Brötchen und trank kalten Kaffee direkt aus der Kanne. Mir hat das richtig körperlich weh getan, ihn so zu sehen. Man hat ihn einfach morgens vor das Frühstückstablett gesetzt und ihn da vergessen. Sogar das Mittagessen kam nicht und als dann derjenige kam, der das Mittagessen wieder abservieren wollte, hab ich nach dem Pflegepersonal geläutet und da kam so ganz lapidar: ach so, den haben wir vergessen.

Was wäre gewesen wenn wir nicht ständig um ihn rum gewesen wären? Was ist mit DEN Leuten, bei denen nicht ein Angehöriger den ganzen Tag aufpasst? Werden die in der Reha einfach auch so vergessen und bekommen nichts zu essen und zu trinken?

Am Freitag und Samstag war es so rührend an zu sehen, wie er im Rollstuhl sitzt und der Musik im Radio zugehört hat und ein paar Töne mit gepfiffen hat. Das war schon immer so: mein Vater hört ein Lied und da MUSS er einfach pfeifen. Auch jetzt noch wo er so krank ist. Es ist auch so, dass er es genießt wenn er mit uns zusammen sitzt und wir uns unterhalten. Er hat genau zugehört, das merkt man. Manchmal sagt er auch noch was. Aber das dauert immer. Es kann vorkommen, dass er dann eine Antwort gibt auf eine Frage, die man ihm 15 Minuten zuvor gestellt hat......und manchmal kommt es vor, dass er plötzlich etwas sagt was in seinem Langzeitgedächtnis gespeichert ist. Z.B. hatten wir es über unsere Katze die vor 8 Jahren gestorben ist und haben lustige Erinnerungen ausgetauscht. Mittlerweile hatten wir das Thema gewechselt und uns über den vielen Schnee in diesem Winter unterhalten. Plötzlich sagte mein Vater: "Unser Katzenpeter hat immer so gerne Käsekuchen gegessen".......das ist absolut richtig. Unsere Katze war verrückt nach Käsekuchen.....es ist auf der einen Seite zwar schön, dass er also doch noch am Gespräch teil nimmt.....auf der anderen Seite tut es mir weh weil ich weiß wie mein Vater früher war......aktiv und immer am reden und lachen und fliegender Themenwechsel.....

Doch jetzt ist er ja Gott sei Dank zu hause. Ihm sind die Tränen runter gelaufen, als ihn die Sanitäter bei uns zu hause aus dem Auto gehoben haben.
Jetzt wird er gehegt und gepflegt und zwar von Menschen die ihn lieb haben.
Ich bin ja leider nicht zu hause - aber fahre so oft als möglich heim.
Meine Mam sagte mir gestern, dass mein Paps es jetzt so weit als möglich genießt. Die beiden Schwestern meiner Muttersind da und werden so lange bleiben bis alles vorbei ist und helfen bei der Pflege. Meine Tante ist ausgebildete Altenpflegerin.
Wir haben das Wohnzimmer zum Pflegezimmer umgebaut, damit er zum einen den Blick aus dem Panoramafenster auf seinen geliebten Schwarzwald hat und dass er zum anderen am täglichen Leben teil nehmen kann. Da das Schlafzimmer nämlich im 2. Stock liegt wäre er ansonsten sehr isoliert.
Gestern bekam er schon viel Besuch und meine Mutter sagte mir, dass er richtig aufgeblüht ist (wenn man von so was in dem Zustand reden kann).

Ein bissel bin ich jetzt beruhigter da ich weiß, dass mein Vater zu hause ist und sehr gut umsorgt......aber halt nur ein bissel.....

Meinen Vater am letzten WE so zu sehen - sein Verstand funktioniert kaum noch und er ist durch seine Hilflosigkeit seiner Würde zum Teil beraubt - das macht mich fertig.
Ich bin am Durchdrehen und brauche mittlerweile abends schon Medikamente um nicht Panik zu bekommen und einschlafen zu können. So langsam kann ich die Leute verstehen, die zur Flasche greifen, um zu vergessen......soll aber nicht heißen, dass ich das auch vorhabe.

Wenn ich sehe WIE sehr mein starker gesunder Papa sich verändert hat und mich manchmal so hilflos ansieht, dann könnte ich vor Verzweiflung laut losschreien......

Ich habe immer noch keinen Weg gefunden, wie ich loslassen kann....im Gegenteil: ich versuche im Moment zu klammern und lebe in den Erinnerungen an die schönen Tage. Ich habe das Gefühl, dass meine Mutter mir da einen Schritt voraus ist.....
Bin also ziemlich durch den Wind zur Zeit und habe starke Konzentrationsschwierigkeiten......keine Sekunde vergeht in der ich nicht an ihn denke.....egal wo.....ich habe erst letztes WE richtig begriffen, dass es absolut keine Hoffnung mehr gibt......irgendwie habe ich mich doch immer noch an irgend etwas geklammert.....aber das war und ist absolut sinnlos.

Ich hab meinen Paps am Montag beim Schlafen beobachtet. Er sieht absolut nicht krank aus. Es sieht nur so aus, als hätte er sich zu einem kurzen Nickerchen hin gelegt. Und doch ist er todsterbenskrank - kann sich nicht mehr bewegen und sein Verstand funktioniert nicht mehr. Es ist ein Irrwitz: er sieht absolut gesund aus......

.....es ist kaum zu glauben was das Leben alles so an Grausamkeiten zu bieten hat.....

Liebe Grüße
Dagmar
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Es zählen nicht die Jahre im Leben sondern das Leben in den Jahren
Abraham Lincoln
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