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Alt 22.12.2005, 17:59
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gemini gemini ist offline
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Registriert seit: 21.12.2005
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Standard AW: Thread für junge Angehörige von Krebskranken

Hallo an euch alle,

ich habe dieses Forum bereits von zweien von euch empfohlen bekommen, und möchte es jetzt auch einfach mal versuchen, mich ein wenig zu beteiligen…
Vielleicht hilft es mir ja…
Ich habe mir nicht alles von euch durchgelesen, aber vielleicht nehmt ihr mich ja in eure Selbsthilfe-Gruppe auf 
Ich finde die Idee mit dem Thread super!

Aber wo fange ich an???

Aaaaaaaaaaalso….., ich bin seit einer Woche 22 und hole gerade mein Abitur nach (also noch halbes Jahr).
Ich wohne eine Stunde von meinen Eltern entfernt.
Vor noch nicht mal 2 Monaten (25.10.) kam die zufällige Diagnose, dass mein Vater sehr krank ist. Die Krankheit ist so selten, dass sie kaum jemand kennt; selbst die Ärzte nicht: Amyloidose mit Grunderkrankung Plasmozytom und bereits im Endstadium. Sein Herz ist bereits zur Hälfte arbeitsunfähig.
Auch wenn es kein Krebs ist, habe ich mich hier einfach mal angemeldet.

Es ging alles schrecklich schnell. Zunächst in eine Spezialklinik nach Heidelberg, da kam raus, dass es bereits so schlimm ist, dass er eine Chemo nicht überleben würde. In Hamburg wurde dann eine Mini-Chemo ausprobiert, die er nicht vertragen hat und akutes Nierenversagen bekommen hat. Die Ärzte haben ihm keinen Tag mehr gegeben, die gesamte Familie ist angereist, meine Mutter hatte das Bett neben ihm bekommen. Aber er hat es überlebt. Ich war die ganze Woche bei meiner Mutter und ihm natürlich.
Jetzt ist er morgen seit 3 Wochen wieder zu Hause. Gott sei Dank.

Aber es verändert sich jeden Tag sooo viel, dass es so schwer ist, es alles aufzuschreiben geschweige denn zu begreifen… Vor 3 Wochen saßen wir noch normal am Esstisch und haben Grünkohl gegessen. Er konnte auch noch alleine zur Toilette gehen.
Es wurde jeden Tag schlimmer. Seit 2 Wochen liegt er jetzt nur noch im Pflegebett unten im Wohnzimmer und wartet auf seinen Tod. Er isst seit einer Woche gar nichts mehr und schläft fast nur noch. Wir rechnen jeden Tag damit, dass es sein letzter ist. Er ist schon in einer anderen Welt, hat sooo viel abgenommen, man erkennt ihn gar nicht mehr wieder und er ist soo schwach. Einmal am Tag wird er mit nem Rolli die paar Meter zum Klo gebracht, es ist jedes Mal eine Tortur… Er hängt die ganze Zeit am Sauerstoffgerät.
Schmerzen hat er aber fast keine. Es kommt jeden Tag eine Frau vom Pflegeverein zum Waschen.

Vor einer Woche war ich Gott sei Dank gerade zu Besuch, als meine Mutter einen Angina-Pectoris (Herz-) Anfall bekommen hat. Ich musste den Notarzt rufen und hatte solche Angst, sie auch noch zu verlieren. Seitdem bin ich die ganze Zeit hier und schlafe unten auf dem Sofa neben meinem Vater, sodass sie in Ruhe durchschlafen kann.
Ich bin am Ende. Ich habe soooolche Angst vor der Zukunft, wie es mit der Schule weitergehen soll und allem.
Weinen kann ich fast nie. Es ist alles so unwirklich.
Mittlerweile möchte ich schon, dass er stirbt. Es wird sowieso nur noch maximal ein paar Wochen dauern und ich möchte es endlich hinter mir haben… Es klingt sicherlich makaber, aber ich dreh hier sonst wirklich noch durch…
Es ist wie in einem Totenhaus, er reden überhaupt nicht mehr, schläft immer nur, will keinen TV, kein Radio und auch nicht, dass man ihm was vorliest. Diese bedrückende Stille… Es ist ein Alptraum. Ich möchte nur noch aufwachen, weg, in mein altes Leben, in meine Wohnung zurückkehren…
Er ist nicht mehr derjenige, wie man ihn kennt. Wenn ich Fotos von ihm sehe, erschrecke ich mich: Das soll derselbe Mann sein??? Er war immer so vital, fröhlich, optimistisch, hilfsbereit und hat ständig Witze erzählt.

Und jetzt ist auch noch Weihnachten. Dieses Jahr gibt es keine Geschenke. Mir graut es vor Heiligabend. Und Sylvester auch…

Mit meinen Freunden ist es ähnlich, wie ihr es auch schon geschrieben habt…
Ich habe zwar manche, die sagen, dass ich mich immer bei ihnen melden kann…, aber ich mag es nicht tun. Ich schäme mich oder weiß nicht, wie ich es beschreiben soll oder denke, dass die es sich sowieso nicht vorstellen oder was ändern können und und und… Es ist alles so schwer. Ich könnte immer nur noch kotzen und werde total gereizt, weil ich nie mehr richtig schlafe und immer ist so viel zu tun ist und irgendwie auch nicht und ich komme hier nie raus und habe solche Angst vor der Schule. Ich weiß gar nicht, wie ich die verpassten Klausuren alle nachholen soll… Und das Abi ist doch so wichtig. Ich weiß gar nicht, was ich tun soll, damit es mir nicht jeden Tag noch schlechter geht… Vorhin habe ich endlich mal wieder ein gutes Buch anfangen können… Und nachher kommt endlich auch mal meine andere Schwester…, vielleicht nimmt sie uns ein wenig ab und schläft diese Nacht mal aufm Sofa…

Es ist so schwer, die Situation hier momentan zu beschreiben, und es tut mir leid, dass ich so wirres Zeugs schreibe… Es ist so anstrengend, es zusammen zu fassen, weil es eigentlich sooo viel ist und man es selber nicht sortieren kann…

Vielleicht liest es sich ja trotzdem wer von euch durch…

Ganz liebe Grüße und ganz viel Kraft sende ich euch!!!!

Anna: Ich denk an dich!!! Fühl dich lieb gedrückt!!!