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Alt 05.11.2005, 10:14
Laura5555 Laura5555 ist offline
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Standard AW: ich weiß nicht mehr weiter

Liebe Andrea,
Liebe Margit,
Liebe Anna,
ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Mutter und genau deswegen fällt es mir so unendlich schwer, mit ihrer Krankheit umzugehen. Vor fünf Jahren war es auch schon sehr schlimm, aber damals war sie selbst einfach noch viel stärker. Diesmal geht es ihr psychisch sehr schlecht. Mein Vater versucht, sie aufzubauen, aber es gelingt ihm kaum. Ich habe schreckliche Angst, sie zu verlieren. Es ist nicht so, daß sie nicht will oder mir nicht "erlaubt", mich um mich selbst zu kümmern und mein altes Leben weiterzuleben, aber es liegt an mir selbst, daß ich es einfach nicht kann. Ich bin wie gelähmt, die Ansgt frißt mich auf und ich bin zu nichts mehr fähig. Schlucke seit Tagen Baldrian und Johanniskrauttabletten, fühle mich wie betäubt und finde keine Ruhe. Wenn ich bei ihr im Krankenhaus bin, versuche ich stark zu sein, und im nächsten Moment, wenn ich zu Hause bin, kann ich nur noch weinen. Sie bekommt nächste Woche die erste Chemo und was eigentlich positiv ist, ist daß sie keine weiteren Metastasen an anderen Organen gefunden haben und auch die bisher entnommenen Lymphknoten nicht befallen sind. Aber in vier Wochen muß sie erneut eine große Operation über sich ergehen lassen, in der ihr weitere 20 Lymphknoten entfernt werden. Und davor habe ich eine riesige Angst, die mir die Luft zum Atmen nimmt. Sollten sie nicht befallen sein, hätte sie laut Ärzten gute Chancen, und die Chemos laufen noch relativ harmlos alle drei Wochen weiter. Sind sie jedoch befallen, würde dies eine Hochdosis Chemo in sehr kurzen Intervallen bedeuten und ich habe eine verdammte Angst, daß sie es nicht schafft. Ich kann einfach nicht mehr. Hinzu kommt, daß ich seit fünf Jahren mehr oder weniger auf mein eigenes Leben verzichtet habe für meine Familie, weil wir neben dem Krebs ja noch viele andere Probleme haben. Und damit komme ich auch nicht mehr zurecht. Ich hatte in der Zeit nur kurze, verkorkste Beziehungen, weil ich mittlerweile selbst psychisch am Ende bin und habe auf alles mögliche verzichtet, (Urlaube, weggehen usw), weil meine Familie mich brauchte. Gerade war ich so weit, mich etwas abnabeln zu wollen und mich ganz auf den Abschluß meines Studiums zu konzentrieren, aber jetzt kann ich wieder nicht mehr weitermachen. Ich will es nicht wahrhaben, daß meine Mutter wieder so krank ist, ich will es nicht wahrhaben, daß ich wieder diese Angst um sie haben werde, die mit jedem Tag schlimmer wird und ich will es nicht wahrhaben, daß ich mich immer weiter vom normalen Leben entferne. Ich bin 24 und habe das Gefühl, dem Leben nicht mehr gewachsen zu sein und an meine Grenzen zu gelangen. Es gibt Tage, da versuche ich, zu verdrängen und treffe mich mit Freunden, aber meine Gedanken sind bei meiner Mutter, jede Minute, jede Sekunde und egal was ich tue, ich kann mich nicht ablenken. Trotzdem sind das noch die "guten" Tage. An schlechten Tage sitze ich zu Hause und grüble und heule und schreie und fühle mich, als würde ich in Stücke gerissen und es gibt niemanden, der mir helfen kann. Es ist genau das, was Du, Anna, geschrieben hast, daß wir noch so jung sind und keine eigene Familie haben, die uns auffängt und uns noch nicht weit genug von unseren Eltern abgenabelt haben, um eine gewisse Distanz (sowohl räumlich, als auch geistig) zu haben. Ich weiß nicht, wie ich den nächsten Monat bis zur Operation überstehen soll und die nächsten Monate überhaupt. Ich weiß nicht , was ich meiner Prüfung machen soll. Meine Mutter sagt, ich soll sie trotzdem machen, aber ich glaube, ich schaff es nicht. Es ist meine Abschlußprüfung, und ich müßte mich voll und ganz darauf konzentrieren, aber dafür ist momentan kein Platz in meinem Kopf. Ich ziehe mich immer mehr zurück, weil ich auch diese gewisse Oberflächlichkeit der Menschen um mich herum nicht mehr ertragen kann. Wenn sie mir von ihren angeblichen Problemen erzählen, so auf die Art "nichts gegen Deine Sorgen, aber ich könnte mich echt aufregen, daß ich nächste Woche schon wieder Überstunden machen muß....." Da könnte ich manchmal echt ausflippen und denke dann immer, diese Leute haben vom Leben nichts begriffen.

Andrea, wie geht es Deinen Eltern heute? So wie ich es verstanden habe, war die letzte Kontrolluntersuchung Deiner Mutter in Ordnung? Wie geht es Deinem Vater? Das, was du schreibst in Bezug auf die Untersuchungen kenne ich auch zu gut. Als ich einer Freundin erzählt habe, daß meine Mutter jetzt wieder ein halbes Jahr Chemo bekommt, war ihre Antwort "das mußt du jetzt durchhalten, aber danach ist doch alles wieder ok" Sie weiß es wohl einfach nicht besser. Aber ich werde es jetzt auch so handhaben, daß nicht ich immer diejenige bin, die allen hinterhertelefoniert, so wie ich es eigentlich auch immer mache. Momentan ist mir einfach auch nicht danach und ich habe keine Lust mehr, ständig so zu tun, als könnte ich mein altes Leben behalten, wenn ich nur so tue als wäre alles in Ordnung. Vielleicht sollte ich auch mal anfangen, Sport zu machen. Einen Versuch wäre es zumindest wert.

Anna, das mit dem Schreiben ist eine tolle Idee. Das Gedicht, das du für Deine Freunde geschrieben hast, hat mir die Tränen in die Augen getrieben, weil es so voller Schmerz ist. Haben es Deine Freunde schon gelesen? Wie haben sie reagiert? Welche Art von Therapie macht Dein Vater denn? War er vor seiner Krankheit schon depressiv oder ist er es erst nach der Diagnose geworden? Spricht er denn überhaupt noch mit Euch über sich? Hat seine Therapeutin schon mal erwägt, ihm Antidepressiva zu verschreiben?

Liebe Margit, ich drücke Dir ganz fest die Daumen, daß es Dir weiterhin gut geht und kein Rezidiv mehr auftritt.

Ich freue mich, von euch zu hören.
Liebe Grüße von Laura.
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