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Alt 02.12.2004, 23:27
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Standard es tut so weh...

Teil 2:
17.11.03, Montag
Lerne endlich Tanja persönlich kennen. Ist ganz OK. Hab sie älter vorgestellt.
Lora und Tanja fahren zum Krankenhaus, eigentlich ist es kein Krankenhaus, es ist ein Onkoinstitut. Früher und heute das Beste im ganzen Land für die Krebs-Patienten. Ich sitze zu Hause mit Tanjas Sohn, er ist krank, Tanja wollte ihn nicht alleine lassen. Da ich beim OP-Terminbesprechung nicht unbedingt dabei sein möchte, bleibe mit dem Kleinen zu Hause, nach ein paar Stunden spielen wir schon zusammen. So eine Ablenkung tut mir gut.
Die beiden kommen spät nach Hause, es gab einige Probleme mit dem Termin, aber sie haben doch einen für Donnerstag, 20.11, bekommen. Also, doch nicht 19.11... Ist egal, Hauptsache so schnell wie möglich.

18.11.03, Dienstag
Heute haben wir vor, den Brustabdruck zu machen.
Hab nicht so oft fremde Brust berührt, hab einige Minuten Hemmungen, Loras Brust anzufassen, aber die Kunst siegt, und bin so damit beschäftigt, alles richtig hinzukriegen (ob der Abdruck richtig hart wird? Ob er leicht von der Haut abgeht? Hab doch noch nie so was gemacht!), dass ich nicht auf Loras Gesicht achte und wache aus meinem Kunstwahn ganz plötzlich auf, als eine Träne auf meine Hand fällt. Lora weint um ihre Brust... Fühle mich so unsensibel, dass ich bereit bin, meine Arbeit abzubrechen und alles wegzuschmeißen.
„Ist schon gut, es geht schon, mach weiter, ich werde nicht mehr weinen.“
Es klappt alles. Hab den Abdruck von beiden Brüsten gemacht, so wollte es Lora. Das Ergebnis ist sehr schön. Mein Brustdenkmal, nannte es Lora.
Als Tanja von der Arbeit nach Hause kommt und das Denkmal sieht, ist sie schwer beeindruckt.

19.11.03, Mittwoch
Fahre mit Lora zum Onkoinstitut. Wir müssen die Liste mit für die Operation benötigten Medikamenten holen und alles in der Apotheke kaufen. Lora trifft heute ihren Anästhesisten. Die Narkose soll besprochen werden. Eigentlich soll der Anästhesist uns auch eine Liste geben, aber wir fahren mit einem Ziel: er soll uns den Preis nennen, wir bezahlen und er erledigt alles selbst.
Das Wetter ist super. Es ist warm und sehr sonnig. Lora erklärt mir den Weg, was für ein Bus soll ich nehmen, wo soll ich umsteigen usw. Mach nur so, als ob ich zuhöre. Komme so wie so nicht zurecht mit öffentlichen Verkehrsmitteln, hab Absicht im Institut doch ein Bett zu ergattern, und falls ich trotz allem bei Tanja übernachten soll, dann nehme ich mir ein Taxi, ist 10mal teuerer als Bus, aber spottbillig im Vergleich mit Hamburg.
Wir steigen an einer Haltestelle aus. Rechts ist ein 10-stockiges Gebäude. Halte nicht sehr viel von Hochhäusern, aber dieses Gebäude gefällt mir. Obwohl es sehr abgenutzt und renovierbedürftig aussieht, sehe ich, dass dieses Gebäude früher sehr schön war.
- Es ist sehr schön. Was ist das?
Lora guckt mich mit den Tränen in den Augen an.
- Onkoinstitut ist es.
- O, in so einem schönen Gebäude werden wir wohnen? Welches Stockwerk kaufen wir?
Jetzt lacht sie.
- Das vierte.
Wir gehen rein. Kein Krankenhausgeruch, das freut mich. Viele Studenten. Haben die eine Pause? Einige lernen, die meisten baggern einander an. Viele Kranken sitzen auch hier. Zwei Imbisse. Schön. Ein kleines Geschäft – Lebensmittel, Getränke, Schokolade. Lecker. Apotheke ist auch hier. Sehr schön. Gehen zu den Aufzügen. Mag Aufzüge nicht, aber sage nichts, vielleicht kann Lora die vierte Etage zu Fuß nicht erreichen. Es warten viele Leute da, Lora wartet ein paar Minuten und wir gehen doch zu Fuß.
Die Abteilung heißt Mammologie, die Bedeutung ist eigentlich klar. Es gibt zwei Flügel, wir nehmen den rechten. Gehen rein, der Geruch ist da, aber es geht, es ist warm hier, das ist gut. Die Krankenschwester schreibt uns sofort die Liste auf, gut, dass sie Russisch kann, die einheimische Sprache verstehen weder Lora noch ich.
Spiritus - 400,0
H202 6% - 2000,0
Skalpellklinge - 2
Jod – 6 Fl.
Grünzeug – 1 Fl. (gibt es in Deutschland, so weit ich es weiß, nicht, so eine Flüssigkeit wie Jod, die Wirkung ist die gleiche, brennt aber nicht so stark wie Jod, Jod ist braun, diese Flüssigkeit ist grün)
Saugflasche oder Saugballon (einfach Birne genannt) - 2
Infusionssystem – 1
Catgut N3 –3
Verband –1
Heftpflaster – 1
Mull – 5 m
Handschuhe (steril) – 5 P.
Handschuhe (nicht steril) - 2 P.
Binde (elastisch) – 1
Fiebermesser – 1
Wir warten auf Anästhesisten. Der Chirurg kommt vorbei, begrüßt uns, dann stoppt er, fragt Lora:
- Hast du heute schon gefrühstückt?
Lora wundert sich und antwortet:
- Nur ein kleines Stückchen Wurst.
- Ah, Mädchen, wieso habt ihr immer so eine Eile?
- Wieso?
- Eine Frau kam nicht zu ihrer Operation, ich könnte dich jetzt nehmen, aber da du schon gegessen hast... Tut mir leid.
Er geht fort. Und ich dachte nur: mein Gefühl sagte mir 19.11...
Loras Anästhesist kommt. Ist noch jung, ich würde ihm 35-37 J geben. Spricht mit Lora, sie sitzt im Sessel, ist sehr nervös, sie weint, ich lege meine Hände auf ihre Schulter. Der Mann sagt: „Falls Sie sich jetzt nicht beruhigen, wird ihre OP verschoben, in so einem Zustand übernehme ich Sie nicht.“ Die Worte wirken. Er wird gerufen, entschuldigt sich und läuft weg.
Ich versuche Lora zu beruhigen, es klappt. „Du musst mit ihm in sein Arbeitszimmer verschwinden, dann sagt er schon, wie teuer er ist.“ Sie nickt mit dem Kopf.
Anästhesist kommt und sie gehen in sein Arbeitszimmer, in wenigen Minuten ist Lora draußen.
- Ist alles in Ordnung?
- Ja.
- Besorgt er alles selbst?
- Ja.
- Wie viel?
- Es hat gereicht.
- OK.
Wir fahren nach Hause. Gehen die Liste durch, markieren die Sachen, die wir noch nicht haben. Gehen zur Apotheke, kaufen alles.
Es ist ein komisches Gefühl, als ob das alles nur ein Traum ist, Alptraum...
Abends essen wir und trinken, ich mag diesen Wein, nicht aus der Flasche, aus dem Fass. Zwar sind die Zähne, Zunge und Lippen danach schwarz, aber ich kann nicht „nein“ sagen und ich hoffe, dass ich diese Nacht schlafen werde.
Lora darf nichts essen, sie trinkt sogar keinen Tee, nur bisschen Wasser, sie hat eine Beruhigungsspritze gekriegt und so langsam, aber sicher wird sie müde.
Wir gehen alle schlafen.
Ich hab seit 2 Jahren nicht geraucht, aber ich hab meine letzte Packung dabei, da sind noch 2 Zigaretten. Mache Fenster auf, es ist kalt draußen und ich rauche...

20.11.03, Donnerstag
Wir sind schon um 8 Uhr im Onkoinstitut, werden in Zimmer 13 geschickt.
„13 hat mir immer Glück gebracht“ sagt Lora. Ich hab auch nichts dagegen. Das Zimmer ist für 4 Personen. Zwei Frauen sind schon da, beide schon operiert, Lena kann Russisch, Saschiko nicht, sogar verstehen kann sie die Sprache nicht. Drittes Bett ist schon reserviert, die Frau kommt später.
Lora kriegt eine Spritze, legt sich auf ihr Bett.
Um 9.34 Uhr wird sie mit dem „Taxi“ (so haben die Frauen das rollende Bett genannt) abgeholt. Der Operationssaal befindet sich auf dem 9. Stockwerk.
Lena hilft mir Loras Bett zu Recht zu machen und die Sachen in den Schrank zu packen.
Ich möchte zu Lora, Saschiko sagt mir was, ich kann nur das Wort „Zimmer“ verstehen, Lena übersetzt: „Sie sagt, du sollst hier im Zimmer bleiben“.
- Ich kann nicht!
Und ich laufe zum OP-Saal. Es ist kalt, im Treppenhaus wird nicht geheizt. Und ich laufe vor der Tür hin und her. Auf der Tür steht: Zutritt verboten.
Der Chirurg sagte, das die Operation ca 3 Stunden dauern wird.
Ich laufe und ich bete: Lieber Gott, gib ihr Kraft!
Ich laufe hier seit 2 Stunden. Es ist grausam. Nicht das Warten. Das, was ich hier sehe.
Ein menschliches Fließband... Die „Taxis“ bringen Leute in 10-Minuten-Takt. Viele Frauen, genug Männer. Und es war auch ein kleines Mädchen dabei. Ein kleines Mädchen. Wie alt ist sie? 5? 6? Sie hat blonde Haare und große blaue Augen, sehr traurige Augen. Sie ist ganz allein! Wo sind deine Eltern, Kleines?! Wieso sind sie nicht bei dir?!
Es werden auch einige rausgerollt, die Intensivstation ist gleich gegenüber.
Ich weiß, dass Lora auch sofort auf die Intensivstation gebracht wird und ich warte.
Tanja kommt zu mir. Sie hat Mittagspause, ist hierher gefahren.
Um 12.04 Uhr wird Lora aus dem OP-Saal gebracht, im Vorbeifahren kriegen wir sie ganz kurz zu sehen, Schläuche hängen überall.
10 Minuten später kommt Chirurg raus. „Ich hab alles getan, was in meiner Macht möglich war. Ich bin zufrieden.“ Gott sei Dank!
Auf die Intensivstation ist Zutritt auch verboten, aber wir kaufen einige Minuten nachmittags, kriegen weiße Kittel und kommen zu Lora durch. Sie wacht aus der Narkose auf. Sie ist so entspannt und so hübsch! Ja, sie ist sehr hübsch. Tanja weint und geht raus. Ich bleibe noch ganz kurz. „Es ist alles gut verlaufen. Du bist sehr tapfer. Ich hab dich ganz toll lieb! Kannst du mich verstehen?“ Sie nickt. Ich gehe.
Wir fahren nach Hause. Zu Hause erst beginne ich an zu heulen. Tanja versucht mich zu beruhigen. Je mehr sie es versucht, desto mehr heule ich. Ich heule nicht um Lora oder mich, nein, ich heule einfach so, die Spannung muss raus. Wie ein Baby heule ich. Im Zimmer und unter der Dusche. Dann trinke ich Wein und gehe schlafen.
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