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Alt 08.10.2015, 12:43
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Drachenkopf Drachenkopf ist offline
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Standard AW: Pitti70 hat es auch erwischt

Liebe Anita

Schon länger lese ich in deinem Thread mit, hatte aber noch keine Gelegenheit, mich einzklinken. Hier nun auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen bei den Frischlingen Ich bin dir nur in wenigen Monaten voraus. Meine Erstdiagnose war im Juli, OP im August, Chemo seit Mitte September. Habe gestern gerade die 2. EC bekommen.

Mir geht/ging es genauso wie dir. Viele Fragen, Verwirrung, neue Begriffe, ein ganz neues Themenfeld, in dem man sich nun auskennen muss/will, von dem man eigentlich lieber gar nichts wüsste - und das obwohl mein Mann vor 3 Jahren ebenfalls an Krebst erkrankte.

Dazu ist das Forum doch genau da, damit du all die Fragen loswerden kannst bei uns, die das gleiche durchmachen. Ob banal oder nicht, würde ich nicht werten. Dich beschäftigt die Frage, darum ist sie wichtig. Es geht doch darum, dass du den Mistkerl effizient besiegen kannst, und gleichzeitiig doch noch so viel Normalität wie möglich da ist.

Wie weit du dein Umfeld offen informierst, hat wie du schreibst, mit verschiedenen Faktoren zu tun, deiner eigenen Persönlichkeit (eher offen oder nicht) aber auch mit der Wohn- oder Arbeitssituation.

Bei mir ist es so: Ich bin en offener Typ, das merkst man wohl aus meinen Beiträgen. Ich hasse es, um den Brei zu reden. Es hilft mir, wenn ich über die Krankheit reden kann. Es hilft auch meinem Umfeld, wenn sie keine Angst haben müssen, mich zu schonen. Und bei vielen ist auch ein grosser Informationbedarf da, wie es mir geht, mit mir weiter geht. Darum habe ich auf der einen Arbeitsstelle und im näheren Bekanntenkreis offen informiert. Beim Aug in Aug fand ich es jeweils fast heftiger für mein Gegenüber. Ich wusste ja schon, mit welcher Keule er/sie jetzt gleich traktiert wird. Die Betroffenheit ist jeweils gross, oft folgt minutenlanges Schweigen.

Eine Ausnahme gibt es: Ich leite neben meiner fixen Anstellung eine winzige Privatschule, in der ich auch ein paar wenige Lektionen unterrichte. Dort habe ich zwar das Lehrerteam, nicht aber die Eltern informiert, aus Angst, dass ein paar von ihnen in einer Panikreaktion ihr Kind schon vorsorglich mal irgendwo anders anmelden, weil sie glauben, die Schule gehe nun vor die Hunde. Bei einer Gesamtschülerzahl von 14 Kindern, braucht es nur wenige und die Schule muss dicht machen. Dort habe ich nur gesagt, dass ich nach einer OP in den Sommerferien eine länger Rekonvalsenz brauche. Inzwichen, da ich die Chemo sehr gut vertrage, habe ich auch schon wieder einige Lektionen erteilt und werde wohl nach den Herbstferien nun mit der Wahrheit rausrücken, da ersichtlich ist, dass ich trotz BK die Schule weiterhin leiten kann.

Im weiteren Umfeld entscheide ich von Fall zu Fall, wem ich was sagen möchte. Ich trage seit einer Woche eine Perücke, die meiner alten Frisur täuschend ähnlich sieht. Nun freue ich mich jeweils diebisch, wenn ich auf Leute treffe, die noch nichts wissen, und die nichts merken. Es tut eben auch gut, wenn man nicht dauernd auf die Krankheit angesprochen wird, wenn nicht jeder dir die Krankheit ansieht. Man kann dann auch mal über normale Themen sprechen, wie früher. Und wenn ich es dann doch sagen möchte, steht mir das frei.
Eine Frau aus der Selbsthilfegruppe, die ich hier im Ort besuche, meinte gestern, sie hätte sich das Leben wohl selbst schwer gemacht, weil sie keine Perücke getragen hat. Mit den Tüchern ist die Krankheit einfach viel sichtbarer. Aber am Ende musst du selbst entscheiden, was für dich stimmt. Ich kenne auch Frauen, für die kam eine Perücke gar nicht in Frage.

Zu den Gelnägeln kann ich leider nichts beitragen, vielleicht weiss das jemand anders.

Was das Essen angeht, so habe ich viele gute Informationen gefunden in einem Buch, das jemand anders hier im Forum erwähnt hat: Gemeinsam gegen Krebs von Prof. Dr. G. Dobos und Dr. Sherko Kümmel. Ich finde das Buch sehr empfehlenswert, zeigt es doch auf, wie die Schulmedizin und die Komplementärmedizin kombiniert werden können. Mir gefällt, dass man es gemeinsam anpackt von beiden Seiten und nicht dieser Grabenkrieg herrscht, wo jede Seite die andere verteufelt. Ich mache selbst zusäzlich eine TCM-Begleittherapie (TCM = traditionell chinesische Medizin). Ich bekomme Vitalpilze für das Immunsystem und die Entgiftung und Akupunktur um das Blut und Qi aufzubauen. Bestimmt trägt es dazu bei, dass ich die Chemo so gut vertrage - und wenn es nur ist, weil ich daran glaube.
Grundästzlich sagt mein TCM-Therapeut aber in Sachen Essen, dass es das Wichtigste ist, dass man überhaupt isst, und dann natürlich so ausgewogen wie möglich. Keine spezielle Krebsdiät auf eigene Faust.

Häkeln ist ganz bestimmt eine gute Sache. Ich habe mehrfach gelesen, das Stricken gut sein soll um die möglichen Nervenstörungen in den Fingern zu behandeln/Vorzubeugen und habe mir deshalb auch wieder ein Strickzeug zugelegt. Bin allerdings aus Zeitgründen noch nicht so weit gekommen ... Mit meiner neuen Forumsgemeinschaft verbringe ich viel mehr Zeit als mit Stricken

Noch meinen Senf zum Thema Verdrängung: Ich denke nicht, dass es Verdrängung ist, wenn du dir ganz praktische Fragen stellst, wie Perücke oder Mütze, kann ich häkeln, was darf ich (nicht mehr) essen. Im Gegenteil. Du befasst dich ja mit der neuen Realität. Es ist wohl eher Pragmatismus, den ich hier sehr viel im Forum antreffe - und auch an mir gut kenne. Einfach Schritt um Schritt kleinere und grössere Themen anpacken, die gerade auftauchen.
Ich habe mich zu Beginn auch sehr oft gefragt, ob ich etwas verdränge. Bin am Tag nach der Erstdiagnose 2 Wochen in Urlaub geflogen und habe ihn GENOSSEN!
Aber bewusst - nicht unbeschwert. Trotzdem habe ich mich mit dem Thema befasst, die nach dem Tod meines Mannes längst geplante Patientenverfügung nun endlich in Angriff genommen. Ich glaube nicht, dass ich etwas verdränge - und gleichzeitig finde ich es kaum fassbar, diese Tatsache dass ich nun BK habe. Alle Fakten sind da, ich kann drüber sprechen, weiss, welche Behandlung kommt, weiss mittlerweile auch, wie sich die anfühlt - aber richtig fassen kann ich es trotzdem nicht.
Ich denke, das ist eher so ein psychischer Schutzmechanismus als aktive Verdrängung. Das ging mir ähnlich nach dem Tod meines Mannes. Man weiss es, aber man kann es nicht fassen.

So, genug für den Moment. Der Magen knurrt und am Nachmittag kommt Besuch.

Ich schicke dir viel Kraft und Zuversicht, davon habe ich im Moment noch genug auf Reserve.
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