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Alt 04.05.2014, 01:51
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HelmutL HelmutL ist offline
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Lächeln AW: Hinterblieben, nur wo?

Hallo zusammen ,

es gibt mich noch.

Ich lese viel, schreibe ab und an ... und immer wieder lese ich Gedichte, Geschichten über Trauer und Tod. Manche treffend, manche konstruiert. Hier mal ein Beispiel:

Nicht alle Schmerzen sind heilbar,
denn manche schleichen sich tiefer ins Herz hinein,
und während die Tage verstreichen,
werden sie Stein.

Du lachst und sprichst, als wenn nichts wäre,
sie scheinen geronnen zu Schaum,
doch Du spürst ihre lastende Schwere
bis in den Traum.

Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle,
die Welt wird ein Blumenmeer,
aber in Deinem Herzen ist eine Stelle,
die blüht nicht mehr.

(Ricarda Huch, 1864 - 1947)

Wenn ein Mensch stirbt, gibt es andere, die weiterleben müssen. Was passiert mit diesen, wenn sie so ein Gedicht lesen? Sie denken: "Ja, das stimmt! Die Welt dreht sich weiter, doch in meinem Herzen ist keine Freude, kein Blühen mehr. Die Trauer lastet auf mir wie ein dicker Fels, mein Herz ist kalt wie ein Stein."

Stimmt. Ich selbst kann mich noch sehr gut an diese Zeit erinnern. Doch das ist nicht der springende Punkt. Der Punkt ist, dass ein Gedicht, eine Geschichte eine Momentaufnahme ist. Geschrieben aus einem tiefen Gefühl heraus, welches sich nicht wiederholen lässt. Es lässt sich nicht als Dauerzustand interpretieren. Viele machen das jedoch und so ziehen sie diesen Moment wie eine Fessel durch ihr Leben. Sie bleiben stehen.

"aber in Deinem Herzen ist eine Stelle,
die blüht nicht mehr. "

Weiß die Autorin wirklich, was sie da schreibt? Kennt sie das Gefühl? Vielleicht.

Eine Stelle. OK. Und der Rest? Kann diese eine Stelle den Rest unseres Lebens bestimmen? Wieso blüht da nichts mehr? Ganz sicher blüht da was. Die Liebe ist nicht tot. In dem großen Blumenbeet ist lediglich eine einzige Pflanze verblüht. Wahrscheinlich die größte und schönste. Als Gärtner sieht man natürlich zunächst nur die verdorrte Blüte. Darf er über die eine Blüte die anderen vernachlässigen oder gar vergessen? Ein guter Gärtner sollte das ganze Beet im Auge haben und sich auf den Weg machen, den Schaden zu begrenzen. Wenn er vergisst, die anderen Blumen zu hegen und zu pflegen, so wächst der Schaden, bis alles tot ist. Man selbst. Noch bevor man stirbt.

Ich habe dieses Gedicht vor ein paar Tagen hier im Forum zum ersten mal gelesen und habe ihm mal ein bisschen hinterher geschnüffelt und dabei ein Forum gefunden, in welchem darüber gesprochen wurde. Ich kann es nicht verlinken, da kommerziell. Ein Forum für Psychotherapie in Österreich. Ein paar Auszüge daraus möchte ich hier zitieren:

Zitatanfang:

"Traurig,
wie viele Menschen so sehr Angst vor den eigenen schmerzhaften Gefühlen haben,
dass sie lieber ihr Herz versteinern lassen,
statt einfach offen zu sein
und ihre schmerzhaften Gefühle zu Ende zu fühlen...."


"ein offenes Herz ist meiner Ansicht nach nicht dazu da, um von anderen Menschen etwas zu bekommen.
Die eigenen Gefühle wieder zu fühlen ist dazu da, das Leben als Stein zu beenden,
und wieder ganz als Mensch am Leben teilzunehmen - mit allen positiven Gefühlen - und mit allem Schmerz!"


"Es geht nicht darum, was du Anderen gibst!
Es geht auch nicht darum, was Andere dir geben - egal ob Dankbarkeit oder Spot!

Es geht darum, wie du mit deinen Gefühlen leben willst - ob du als Stein dahinvegetieren willst, oder als fühlendes menschliches Wesen am Leben teilnehmen willst!"

(User: "Innere Freiheit")

Zitatende.

So sehr ein Gedicht, eine Geschichte das eigene Gefühl für den Moment auch trifft, es sollte immer ein Anstoß sein. Nicht mehr und nicht weniger. Man darf auch mal sagen: "Ich sehe das anders."


Liebe Grüße,

Helmut
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