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Alt 06.12.2012, 19:29
edith57 edith57 ist offline
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Standard AW: ich habe solche Angst!

Hallo ihr Lieben,

Zuerst möchte ich euch allen ganz herzlich danken für eure Anteilnahme. Es berührt mich sehr, wie ihr alle mit gelitten habt und wie sehr ihr Anteil nehmt an unserem Schicksal.

Es ist nun genau 1 Woche her, dass mein geliebter Mann seinen letzten Tag auf dieser Erde erlebte. Mit etwas Abstand kann ich euch nun unsere letzten gemeinsamen Tage schildern:

In der Woche vor seinem Tod wurde mein Mann in der Nacht zunehmend unruhiger. Er erwachte sehr oft, musste sich dann unbedingt aufsetzen – hatte Atemnot und Herzrasen. Das wurde von Nacht zu Nacht schlimmer – er stand jedoch immer am Morgen mit mir auf und ging mit mir ins Wohnzimmer runter und am Abend wieder mit hoch ins Schlafzimmer.

In der Nacht vom 22. auf den 23. November war es dann ganz schlimm – wir haben kein Auge zugemacht und so blieb er bis 11:00 h im Bett und schlief noch ein wenig. Dann wollte er mit meiner Hilfe nach unten und gemeinsam haben wir das auch geschafft. Am Nachmittag – ich saß gerade oben am PC - hörte ich plötzlich die Tür vom Wohnzimmer aufgehen. Ich bin sofort runter gerannt und hab ihn gefragt, wo er denn hin will. Er hat gesagt, er möchte raus auf die Terrasse. Ich bin hinterher, um ihn auffangen zu können, falls er umfallen würde.

Er ging zuerst in seinen geliebten Heizraum, setzte sich dort auf den Stuhl und sah sich alles in Ruhe an. Dann ging er raus auf die Terrasse, blieb ein wenig angelehnt stehen und sah sich einfach nur um, dann ging er in unseren Schuppen, setzte sich auf den dort eingewinterten Gartentisch und schaute sich nochmals alles an – dann ging er langsam wieder rein und legte sich auf’s Sofa. Es ist mir erst danach bewusst geworden, dass er an diesem Nachmittag von „seinem Reich“ Abschied genommen hat.

Am Abend habe ich ihn nur noch mit ganz viel Mühe nach oben ins Schlafzimmer gebracht und am Samstag Morgen konnte er nicht mehr stehen. Er wollte zwar unbedingt wieder nach unten, aber es ging nicht mehr. Seine Unruhe wurde immer schlimmer und am Sonntag Morgen konnte er nicht mehr schlucken. Ich habe sofort den diensthabenden Arzt verständigt, der ihm dann ein Schmerzpflaster geklebt und Beruhigungsmittel gespritzt hat und mir zeigte, wie ich das auch selber machen kann. Ich habe ihm dann alle paar Stunden seine Medikamente unter die Haut gespritzt und gelitten wie ein Hund, weil es ihm sehr weh getan hat.

Am Montag in der Früh habe ich dann die Hauskrankenpflege angerufen und die haben in kürzester Zeit alles organisiert. Noch am Vormittag war bereits sein Hausarzt da, das mobile Palliativteam, ein Sauerstoffkonzentrator und ein Pflegebett. Er erhielt zusätzliche Schmerzmittel für die Schmerzspitzen und Beruhigungsmittel, welche man nicht schlucken sondern nur unter die Zunge oder in die Wangentasche legen musste. Leider wirkte das Beruhigungsmittel nicht, sodass ich nun Valium in den Muskel spritzen musste. Eine Dosis hielt genau 2 Stunden – so musste ich Tag und Nacht alle 2 Stunden spritzen. Am Dienstag Nachmittag war er zum letzten Mal ansprechbar. Er reagierte zwar aber konnte nur noch nicken oder die Hand drücken.

Am Mittwoch in der Früh habe ich seine Decke aufgedeckt und gesehen, dass sein Ehering neben seiner Hand liegt, er ist ihm einfach vom Finger gefallen. Ich habe den Ring genommen, und unter meinen an meinen Finger gesteckt und dann musste ich weinen und habe ihm gesagt, dass ich ihn wieder an seinen Finger stecken werde, weil er mir noch nicht gehört. Erst danach ist mir bewusst geworden, dass er mir den Ring geben wollte, damit er gehen kann und ich habe ihn zurück gehalten, weil ich ihm den Ring wieder an den Finger steckte. Ich habe ihn dann am Abend um Verzeihung gebeten und ihm gesagt, dass es mir leid tut und dass er trotzdem gehen kann.

Am Mittwoch Abend hat er dann endlich eine Schmerzpumpe mit einem Medikamentmix erhalten und war ab diesem Zeitpunkt endlich ruhig und so konnte unsere letzten 30 Stunden mit ihm noch ganz intensiv auskosten. Ich habe ihm die Stirn gekühlt, den Mund und die Lippen befeuchtet, ihn geküsst und gestreichelt und ein wenig gekuschelt.

Am Donnerstag Abend war mir klar, dass er in dieser Nacht oder am nächsten Tag gehen wird und ich habe mit mir gekämpft, ob ich neben ihm sitzen bleiben oder mich ein wenig hinlegen soll. Ich habe mich dann entschieden, dass ich mich aufs Sofa lege. Ich habe das Pflegebett jede Nacht ganz zum Sofa heran gezogen, damit ich ihm wenigstens die Hand halten konnte. Er war ganz fiebrig und heiß und ich habe ihn gestreichelt und beruhigt. Irgendwann bin ich dann eingenickt und um 00:30 h bin ich wieder aufgewacht. Seine Hand war eiskalt und er atmete zwar regelmäßig, aber ganz flach. Ich habe mich aufgesetzt und habe ihm lauter schöne Sachen aus unserem Leben erzählt. Ich weiß, dass er mich gehört hat – er hat immer wieder geseufzt und war ganz ruhig.

Ab 01:30 h hatte er immer wieder Atem-Aussetzer. Ich habe mich an ihn gekuschelt und meinen Kopf an seinen gelehnt, wie wir das immer gemacht haben. Ich habe ihn umarmt und gestreichelt und habe ihm gesagt, dass er nicht mehr kämpfen soll. Dass sein Körper kaputt ist und dass es für ihn und für mich nicht mehr schön ist, weil er so leiden muss. Dass ich ihn liebe und dass er los lassen und gehen kann. Dass er für uns beide ein ganz schönes Plätzchen suchen soll, wo wir dann wieder glücklich zusammen sein können, wenn meine Zeit gekommen ist. Und er hat immer weiter geatmet und irgendwann ist mir klar geworden, dass er nicht gehen kann, wenn ich ihn halte.

So habe ich ihm gesagt, dass ich jetzt wieder zurück auf mein Sofa gehe. Ich bin zurück und habe ihm weiter die Hand gehalten und gestreichelt und ihm gesagt, was er doch für ein guter Ehemann war und dass ich ihn immer wieder heiraten würde und wie sehr ich ihn liebe.
Und er hat immer weiter geatmet – bis mir klar wurde, dass ich ihn ganz los lassen muss.

Ich habe ihm gesagt, dass ich seine Hand jetzt los lasse, das habe ich dann auch und ihm gesagt, dass es gut ist, dass ich ihn liebe und dass er jetzt gehen kann – und 5 Minuten später - genau um 02:15 h - hat er einfach aufgehört zu atmen.

Ich war einfach nur erleichtert, dass er erlöst ist und habe ihn noch lange gestreichelt und in meinen Armen gehalten und mit ihm geredet.

Und so hart die ganze Zeit war, ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich ihn bis ganz zuletzt zuhause begleiten konnte. Ich habe seinen letzten großen Wunsch erfüllen können und ich weiß zu 100 %, dass ich alles was mir möglich war für ihn getan habe. Es gibt nichts, was noch offen war zwischen uns. Es war alles gesagt und getan und das ist ein wunderbares Gefühl. Und ich spüre ganz genau, dass er noch da ist. Er ist bei mir und ich bin zwar traurig, aber gleichzeitig auch glücklich, dass wir unsere große Liebe bis zur letzten Sekunde teilen durften.

Liebe Grüße
Edith
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mein Mann:
NSCL ED 21.10.2010
nach langem Kampf ins Licht gegangen am 30.11.2012
für immer in meinem Herzen

http://www.youtube.com/watch?v=ibREmAkEgJo
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