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Alt 22.05.2012, 08:15
Annika0211 Annika0211 ist offline
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Standard AW: Chemo bei ProstataCa wird nicht besser

Liebe Chica.
Meine Mama (wird bald 82) fühlt sich auch oft alleine, beklagt sich nie. Ich weiß es einfach.
Natürlich ist es nochmal was anderes, ob man seinen Vater oder seinen Lebenspartner verloren hat. Beides tut unglaublich weh, aber man darf sagen, dass der Schmerz einer Witwe anders ist.

Ich weiß, dass dir das klar ist, warum deine Mama das Alleine-sein so ausstrahlt und warum es dich und sicher auch sie selbst so schmerzt.
Ich muss ja nix erklären – ich berichte dir, wie ich mir meine Mama erkläre..

Meine Eltern waren über 40 Jahre verheiratet, haben sich geliebt und das auch gezeigt. Ich hatte die schönste Kindheit, die ich mir vorstellen konnte. Meine Eltern waren immer für mich und meine Geschwister da – sie waren Freunde, auch wenns mal Stress untereinander gab.

Flügge werden heißt, auf eigenen Beinen zu stehen, lernen, selbstständig zu sein, für sich sorgen zu können, seinen eigenen Weg zu gehen.
Die Eltern sind von Mal zu Mal immer mehr alleine, wenn die Orgelpfeifen das Haus verlassen. Irgendwann haben sie dann IHR Leben, die Zweisamkeit, unternehmen viel, widmen sich Hobbies, Freunden, Gesellschaften.
Unsereins baut sich sein Leben auf – mit Partnerschaft, Familie, Freunden, Vereinen etc.

Auf einmal ist der Vater fort und der Lebensparter, Lebensmittelpunkt der Mutter ist verschwunden.
Nicht nur die Kinder sind weg, nun auch der Partner. Sie ist alleine.
Ob sie nun 1 Kind hat oder 5 Kinder – sie ist alleine, denn der geliebte Mann ist nicht mehr da.
Da können alle Kinder auf einmal zu Besuch kommen oder vielleicht wohnt auch eins der Kinder mit im Haus – es ist nicht das selbe.
Es fehlen die vertrauten Gesten, die wärmenden Umarmungen, die Liebe des Partners, der Zusammenhalt und das Miteinander.

Die Höhen und Tiefen, die die Eltern gemeinsam erlebt haben, haben sie noch enger zusammengeschweißt. Auf einmal muss man sämtliche Höhen und Tiefen alleine erleben.
Und es trifft z. B. im Fall meiner Mutter eine Frau im Alter von 77 Jahren, die nun ihre Angelegenheiten selbst regeln muss.
Die Generation meiner Eltern hat das klassische Rollenspiel gelebt: Mann geht arbeiten, bringt das Geld nach Hause – Frau kümmert sich um den Haushalt und die Kinder.
Mama musste auf einmal Dinge erledigen, von denen sie so gut wie keine Ahnung hatte.
Sie hat sich überall reingeschafft, was Papa immer übernommen hat.
Sie ist auf Ämter gegangen - das hat sie sehr viel Mut gekostet, sie hatte Angst - und hat ihre Dinge geregelt.
Dadurch hat sie viel Stärke gewonnen, weil sie gesehen hat, dass sie das auch alleine schaffen kann - sie muss es nur wollen.

ICH bin jetzt Mamas Ansprechpartner in Sachen Finanzen, Haus und sonstigen Abwicklungen – ich bin aber nicht ihr Lebenspartner. Den kann ihr niemand ersetzen.

Meine Mama hat eine eigene Stärke entwickelt – durch all die Jahre, die sie für die Familie und den Mann da war, sich gekümmert hat.
Sie hat Dinge erlebt, von denen ich nicht mal annähernd eine Ahnung gehabt habe.
Sie ist mit Papa gemeinsam durch seine Krankheit gegangen und das 8 Jahre lang.
Sie hat ihn in Gedanken sterben sehen, ihn dabei vermisst und wieder ins Leben zurückgeholt, ihm zum Schluss aber seinen Frieden gewünscht – um ihn für immer schmerzlich zu vermissen.

Der Schmerz über den Tod eines geliebten Menschen ist nicht zu beschreiben.
Es tut im Herz weh, im Kopf, einfach überall.

Seit dem Erlebten mit Papa habe ich Angst vor dem Tag, wenn mein Liebster VOR mir gehen sollte.

Liebe Chica, ich glaube, du kannst deiner Mama noch so viel Aufmerksamkeit geben – sie wird deinen Papa immer vermissen, nichts und niemand wird ihn ersetzen können.
Sie sollte sich vieeel Gutes gönnen, ihre Seele streicheln lassen.
Du kannst sie nur unterstützen, sie in ihrem Tun bestärken.
Du kannst ihr einen kleinen Anstoß, etwas Hilfe geben, um in kleinen Schritten noch weiter nach Vorne schauen zu können.
Vielleicht hellt sich die Trauer in ihren Augen etwas auf...

Ich drück dich.
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Alles Liebe.
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Papa, für immer in meinem Herzen - 31.12.2007

Geändert von Annika0211 (22.05.2012 um 08:25 Uhr)
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