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Alt 19.06.2002, 14:01
Gast
 
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Standard Woher nehmt Ihr die Kraft für den Betroffenen?

Hallo Tina,
es ist wirklich schwer, immer die Kraft zu haben. Mir ist auch oft zum Heulen!
Aber es ist wichtig, dass wir die Kraft und den Mut und die Stärke haben, weiterzumachen.
Wir sind doch teilweise alles, was unsere Lieben noch haben.
Wir können und dürfen nicht kneifen.
Natürlich - auh wir sind nur Menschen.
Deshalb versuche ich irgendwie mein Leben so normal wie möglich zu gestalten.
Das Problem - meine Schwester wohnt nicht in der Nähe und bis zu ihr sind es rund 230 km - ich würde sie gern jeden Tag sehen, aber es geht aufgrund der grossen Entfernung nicht. Telefonieren strengt sie zu sehr an. Ich bin in Gedanken dauernd bei ihr. Ob sie dies merkt?
Da ich voll berufstätig bin und Kundenkontakt habe, muss ich auch dann noch freundlich sein, wenn mir überhaupt nicht danach ist und ich eigentlich kurz davor bin, die Nerven zu verlieren. Ein paar meiner Kollegen wissen bescheid - so müssen sie sich nicht wundern, wenn ich plötzlich mich seltsam verhalte. Aber ich möchte es auch nicht an die grosse Glocke hängen. Nur ganz bestimmte Menschen erfahren davon. Ja - ich muss dir zustimmen, manche reagieren seltsam
So meinte ein befreundeter Arzt, ich würde mich anstellen, ich sollte doch froh sein, dass es n u r meine Schwester sei und mich nicht selbst betreffen würde.
Ich bin unheimlich sauer auf ihn - habe die Freundschaft aufgekündigt. Dieses Verhalten ist unmenschlich.

Eine grosse Stütze ist mein Mann. Er verhindert, dass ich mich völlig vom normalen Leben entferne.
Auch einige Freunde unterstützen mich - ich finde es schlimm, wie sehr sich der Freundeskreis auf einmal minimiert!
Wenn man nicht mehr unbedingt der Clown ist, der die anderen zum Lachen bringt.
Wenn man keine Lust hat, wegzugehen...
Dann stellt man fest, was ware Freunde sind.
Beten - wenn man gläubig ist - hilft auch.
Eine Freundin von mir betet - ich weiss, dass es meiner Schwester hilft. Leider kann ich momentan nicht beten.
Oder meditieren.
Sich nicht selbst ganz aufgeben - auch wenn man keinen Hunger hat, versuchen, zumindest Kleinigkeiten zu essen.
Entspannungsmusik hören und wenn man wirklich gar nicht mehr kann, vielleicht auch mal mit dem Hausarzt sprechen. Er kann etwas Homoöpathisches verschreiben, was zumindest ein bisschen die Nerven beruhigt. Mir geht die ganze Sache sehr auf den Magen - so ist mir dauernd schlecht und ich habe häufig Magenschmerzen nach dem Essen... (aber ich möchte jetzt hier nicht rumjammern...)
Vielleicht sich auch mal einen Wunsch erfüllen...
Es hilft mit Sicherheit nicht, wenn wir jetzt dauernd sagen, unseren Lieben geht es so schlecht, jetzt muss es uns auch schlecht gehen.
Ich habe mich letztens dabei erwischt, dass ich lachte und gleich darauf hatte ich ein sehr sehr schlechtes Gewissen, ich schämte mich dafür, dass ich lachte, während es meiner Schwester so schlecht ging. Nein - dies kann nicht der richtige Weg sein. Man ist sowieso so traurig und fragt sich dauernd warum. Warum ausgerechnet sie ...
Auch sollte man nicht schauspielern - unsere Lieben merken es doch gleich - sie sind zwar sterbenskrank - aber doch noch nicht verblödet. Und wenn man dabei erwischt wird, dass man etwas vorheuchelt, wird das Verhältnis zueinander gestört und es gibt Spannungen. Dies sollte jetzt nicht aufkommen, denn auch die Psyche spielt eine grosse Rolle bei dieser Krankheit.
Ehrlichkeit ist meiner Meinung nach wichtig... - allerdings nur bis zu einem gewissen Grad.

Und was mir z. Z. auch hilft ist dieses Forum.
Ich bin froh, dass ich es gefunden habe. Zu wissen, man ist nicht allein.
Es gibt da "draussen" noch andere, die in ähnlicher Situation sind.
Liebe Tina - ich wünsche dir ganz viel Kraft und Mut. Halte durch und sei tapfer.
Aber vergiss dich nicht selbst dabei und versuche - auch wenn es sehr sehr schwer ist - ein "normales" Leben zu führen.

Alles Liebe
Lisa

P.S. Wisst ihr vielleicht einen Tipp, wie ich meine Schwester motivieren kann, zumindest auf die Terrasse zu gehen. Sie hat sich irgendwie in ihrem Zimmer zurückgezogen und möchte nicht mehr vor die Tür. Die ganze Zeit konnte sie es auch nicht, weil sie so schwach war. Jetzt geht es ihr ein bisschen besser und bei dem schönen Wetter könnte sie auch auf dem Liegestuhl auf der Terrasse liegen und ein bisschen frische Luft bekommen. Aber sie weigert sich.
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