Einzelnen Beitrag anzeigen
  #5  
Alt 05.10.2011, 02:15
Tamina4 Tamina4 ist offline
Neuer Benutzer
 
Registriert seit: 05.10.2011
Ort: Nähe Berlin
Beiträge: 1
Standard AW: junge Frauen und der Tod der Mutter

Hallo ihr Lieben,

Meine Mutter ist am 11.September nach langer Krankheit gestorben. Sie hatte zwar keinen Krebs, sondern Multiple Sklerose, aber ich konnte kein anderes Forum zu dem Thema finden, vor allem keines, das so gut gepasst hätte. Ich bin nämlich auch noch eine relativ junge Tochter, in ein paar Tagen werde ich 26. Ich weiß gar nicht genau was ich Neues mitzuteilen habe, einerseits könnte ich seitenweise über das Thema "meine Mutter" schreiben, andererseits erscheint es mir so sonnenklar. Ich vermisse sie einfach so wahnsinnig. Sie ist völlig unerwartet gestorben, denn mit MS kann man eigentlich lange leben und es führt nicht unbedingt zum Tode. Meine Mutter war erst 55 Jahre alt, und ich war gerade im Urlaub in Italien als sie starb. Ich habe zwar nicht das Gefühl, dass ich es verpasst habe ihr etwas Wichtiges zu sagen, aber ich hätte ihr so gerne noch so, so viele Dinge gesagt. Ich würde so viel dafür geben, sie noch einmal in den Arm nehmen zu dürfen. Wir haben bis vor Kurzem noch all ihre Kleidung hier gehabt, denn sie ist ja erst vor ein paar Wochen gestorben. Alles hat noch nach ihr gerochen. Ich habe mich dann gezwungen, alles zu waschen und das Meiste in die Altkleidersammlung zu geben. Denn mein anderer Gedanke war, die Kleidung die nach ihr riecht irgendwie zu konservieren, damit der geliebte Geruch nie verloren geht. Und das erschien mir irgendwie nicht gut, nicht "gesund" für den Heilungsprozess, sie so künstlich "festhalten" zu wollen, ihren Geruch. Dabei hätte ich mich ewig in der Kleidung vergraben können, die noch nach ihr duftete. Der geliebte Geruch meiner Mutter....ich glaube, die Liebe zur Mutter ist eine der stärksten überhaupt. Ich hätte sie so, so gerne noch hier gehalten. Ich hätte ihr noch so vieles sagen wollen, sie so vieles fragen wollen. Ich dachte immer, ich hätte noch so viel Zeit, und dass ich das Meiste schon wüsste. Ich glaube, das Wichtigste habe ich ihr gesagt. Wie sehr ich sie lieb habe. Das habe ich ihr noch gesagt, kurz bevor ich in Urlaub geflogen bin. Da sah ich so etwas in ihren Augen, was ich nur unbewusst wahrgenommen habe. Ich weiß noch, wie ich mich unwillkürlich über den Ausdruck in ihren Augen wunderte. Als sei ein Teil schon im Begriff, zu gehen...meine Mutter hatte nun seit 15 Jahren MS, die Krankheit war so schwer, dass sie nur noch den linken Arm und das Gesicht bewegen konnte. Sie verschluckte sich ständig so schwer, dass sie kurz davor war, zu ersticken. Ich bin so froh, dass ihr das nicht passiert ist. Sie wurde einfach bewusstlos und dann hörte ihr Herz auf zu schlagen. Das geliebte Herz meiner Mutter. Ich kann es einfach nicht fassen. Momentan gehe ich ganz gut damit um, denn ich wohne im Moment (nach meinem Studium) wieder zuhause, gemeinsam mit meiner Schwester und meinem Vater, und wir gehen gemeinsam sehr gut damit um und sind sehr nahe zusammengerückt, emotional. Ich habe aber das Gefühl, dass es mich jederzeit plötzlich treffen könnte, dieses plötzliche Erkennen: Ich werde meine Mutter in diesem Leben nie mehr wiedersehen. Ich muss auf ein paar Momente hoffen, in denen sie mir vielleicht im Traum begegnet. Und immer diese Frage: Denkt man sich den Himmel nur aus, oder gibt es ihn wirklich? Ich stelle mir vor, dass ihre Seele nun wieder ein Teil des Weltganzen geworden ist, und dass meine Mutter, Evi hieß sie übrigens, nun überall um uns herum ist. Wenn die Sonne scheint, oder der Wind leicht weht....wenn ich etwas Schönes sehe...dann stelle ich mir vor, dass meine Mutter in all dem ist. Sie ist vor allem tief in mir drin, ein Teil von mir, den mir niemand nehmen kann. Sie wird immer sehr stark da sein. Und sie muss nun nicht mehr leiden. Für sie ist es so das Beste, wenn man sie schon nicht heilen konnte.

Es stimmt, ich definiere mich nun irgendwie etwas anders, jetzt wo ich selbst keine Mutter mehr habe. Wo der Mensch, der mir diese ultimative Geborgenheit gegeben hat, nicht mehr lebt. Wisst ihr, welchen absurden Gedanken ich manchmal habe? Als ich ein kleines Kind war, hatte ich sehr starkes Asthma und Allergien. Und meine Mutter ist mit mir um die halbe Welt zu verschiedenen Ärzten gereist, um mir zu helfen, was sie schließlich auch sehr gut geschafft hat. Sie war eine echte Löwenmama. Und nun frage ich mich manchmal, was wohl wäre, wenn ich schwer krank werden würde. Ob sie dann von den Toten auferstehen würde, um ihrem Kind zu helfen. Dann wünsche ich mir fast, dass ich so sehr krank werde, dass sie gezwungen ist, wiederzukommen. Das ist kein Gedanke eines erwachsenen Menschen, eher der eines trotzigen Kindes, das weiß ich. Das ist der Teil in mir, der Kind geblieben ist. Der andere Teil, der Erwachsene, wünscht sich eigene Kinder. Es ist ganz seltsam, seit dem Tod meiner Mutter habe ich den starken Wunsch danach, selber Mutter zu werden und meine Kinder zu umsorgen. Dadurch fühle ich mich irgendwie meiner Mutter nahe, die eben so durch und durch Mutter war. Sie war die geborene Fürsorge, Wärme und Herzlichkeit.

Ich habe auch das Gefühl, dass ich durch den Tod meiner Mutter "weicher" geworden bin. Kleine Dinge die mich früher geärgert haben, regen mich jetzt nicht mehr so sehr auf. Vielleicht ändert sich das mit der Zeit wieder, aber ich habe das Gefühl, dass ein Teil von mir nun immer den möglichen Tod vor Augen hat und die Tatsache, dass nur das Wesentliche wirklich zählt. Außerdem empfinde ich eine gewisse "Freude" auf den Tod. Nicht dass ich sterben möchte, im Gegenteil, ich möchte ein schönes Leben haben, Kinder versorgen und meinen zukünftigen Mann glücklich machen, ich möchte schön und erfüllt leben....aber ich freue mich darauf, irgendwann zu sterben, weil ich dann meine Mutter wiedersehen werde, hoffentlich. Die Tatsache, dass man nach dem Tod so innig geliebte Menschen wiedersieht, nimmt dem Tod sein Bittres, finde ich. Meine Mutter hat ihre eigene Mutter niemals kennengelernt und hatte eine ziemlich boshafte Stiefmutter, von der sie nie geliebt wurde, das kann man leider wirklich so sagen. Nun wünsche ich meiner Mutter von ganzem Herzen, dass sie nun im Himmel mit ihrer eigenen Mutter vereint ist und merkt, dass auch sie eine Mutter hat, von der sie von Herzen geliebt wird.

Ach Gott wie man sieht könnte ich wirklich ewig über meine Mutter schreiben....es tut einfach gut, zu wissen, dass es hier im Forum Menschen gibt, die einen besser verstehen können als solche, die eben so etwas oder etwas Ähnliches noch nicht erlebt haben. Vor allem auch die lange Krankheit vor dem Tod...dieses langsame Dahinschwinden, das langsame Sterben....15 Jahre hat es bei meiner Mutter gedauert...ich weiß nicht mehr, wie oft ich Gott wirklich innig darum gebeten habe, sie wieder gesund zu machen. Wie ich mir ausgemalt habe, was ich alles dafür hergeben würde. Ich glaube, ich hätte mein eigenes Leben dafür gegeben, dass sie wieder gesund ist. Ich stelle mir jetzt manchmal vor, dass wir uns alles nur eingebildet haben, und dass sie in Wirklichkeit ganz gesund und glücklich ist. Gestern, als wir eine Bekannte vom Zug abholen sollten, habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, meine Mutter vom Zug abzuholen. Wie sie lachend und strahlend und schön und wieder jung und gesund aussteigen würde, mit einem Koffer hinter sich. So eine wunderschöne Illusion. Das Leben ist nicht fair, finde ich. Das Leben ist ganz und gar nicht fair, und an einen "Gott Vater" im christlichen Sinne kann ich nicht glauben. Wenn es da oben wirklich einen vaterähnlichen Gott gäbe, dann hätte er meine geliebte Mutter niemals so sehr leiden lassen. Sie hatte nichts Böses getan. Ich glaube höchstens an eine Lebenskraft, die Liebe, und das "Weltganze", eine Art von Weltseele, die aus all dem Leben und der Liebe auf der Welt besteht. Eine Kraft von der man kommt und in die man zurückkehrt wenn man stirbt. Denn Energie geht niemals verloren, sie ändert höchstens ihre Form.

Nun gehe ich ins Bett....danke dafür, dass jemand vielleicht diese Zeilen liest. Es tut gut, das zu teilen....

Tamina
Mit Zitat antworten