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Alt 01.03.2011, 00:48
undine undine ist offline
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Standard AW: Fühle mich so müde, hilflos und allein

Hallo Zetchen,

erst einmal möchte ich dir sagen, dass es mir unendlich leid tut, dass deine Ma krank ist.
Meine Ma ist auch krank und obwohl sie (und ich) einiges älter sind, tut es trotzdem unglaublich weh und ich weiß jetzt schon nicht, wie ich es ertragen soll, ohne sie zu leben.

Ich habe schon früher bei dir gelesen, und es hat sich in mir immer etwas gewehrt, dir zu schreiben.
Das lag zum einen daran, dass deine "Schreibe" wesentlich älter klingt, (ich vermute, du bist +/- 20 Jahre jung), als sie sein sollte, denn du erklärst dich und deine Situation sehr analytisch in deiner ersten Vorstellung. Das klang wie ein älterer Mensch, der einen jüngeren beschreibt und mit einer ungewollten Distanz. Das hat mich sehr skeptisch gemacht, ob hier nicht vielleicht jemand ein Rollenspiel spielt.

Mittlerweile habe ich mehr gelesen und der Eindruck hat sich etwas zerstreut, deshalb schreibe ich dir jetzt auch.

Vorab möchte ich sagen: sei bitte nicht böse! Ich will dich nicht angreifen oder schlecht machen, schon gar nicht in so einer schweren Situation!
Ich hoffe, dass du das als positive Kritik annehmen kannst, was nun mein Eindruck ist.

Also, zuerst möchte ich meinen Hut vor deinem Vater ziehen, dass er so deutliche Worte gefunden hat! Er hat ganz recht: du musst dir überlegen, was du tun willst, wenn deine Eltern nicht mehr sind!
Jetzt, da deine Mutter so krank ist, ist dieser Gedanke mehr als nur ein "Was wäre wenn.."-Spiel! Aber auch ohne den Krebs kann jeder Mensch jeder Zeit irgendwo vors Auto laufen. Deshalb ist es wichtig, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Du möchtest doch auch als Erwachsene ernst genommen und respektiert werden. Da gehört auch die Kehrseite dazu: Verantwortung für sich zu übernehmen, Stück für Stück. Das macht das Erwachsen werden aus.

In vielen Deiner Zeilen beschreibst du selbst deine Passivität und Antriebslosigkeit und anstatt diese zu ändern, erwartest du, dass deine Eltern das tun. Liebe Zetchen: deine Ma ist totkrank! Du kannst ihr doch damit helfen, ihre eine Sorge, nämlich die Sorge um dich, zu nehmen, in dem du dir Hilfe holst! Und wenn du nicht Telefonieren magst: dann überwinde das! Oder maile!! Du musst es einfach wollen!!! Und den Eindruck habe ich nicht!

Ich weiß, was Zwangserkrankung und Phobien bedeuten und ich weiß auch, dass es nur einen Weg gibt, aus ihnen herauszukommen: es zu wollen!!

Und das sehe ich bei dir nicht! Du fragst dich, wie deine Ma das "vergessen" konnte, ich frage mich, wieso du ihr die Verantwortung gibst, es zu tun? Du bist erwachsen! Angst hin oder her, man kann sie nur bezwingen, wenn man es versucht!! Und glaube mir, ich habe das schon hinter mir! Es geht! Und danach fühlt man sich einfach doppelt so groß und stark und denkt, die Welt könne man erobern! Bring dich selber nicht um dieses großartige Erfolgserlebnis!

Es muss unglaublich schwer für deine Ma sein, nicht kommunizieren zu können. Ich hatte vor zwei Jahren eine Gehirninfektion bei der das Sprachzentrum angegriffen war. Statt "Stuhl" sagte ich "Fisch" usw. Diese Hilflosigkeit, seinen Mitmenschen nichts mitteilen zu können, das macht einen wütend und ist unglaublich frustrierend! Deshalb kann ich deine Ma so gut verstehen!

Habt Ihr denn mal nach Lösungen gesucht? Es gibt doch Lernspiele, bei denen einzelne Wörter oder Buchstaben oder Silben auf Karten gedruckt sind, sodass sie auf diese Weise die Wörter bilden könnte, die sie sagen will.
Zur Not kann man das auch selber machen oder ein Notebook mitnehmen, und sie kann, wenn ihr das Notebook haltet, auf die Buchstaben drücken. Euch fällt doch bestimmt eine Möglichkeit ein! Dann kann deine Ma auch erzählen, was sie bewegt und muss nicht nur zuhören. Es muss so unglaublich schwer für sie sein, totkrank zu sein und sich dann anzuhören, wie schlecht es ihrer Tochter geht. Versetze dich doch bitte ein bisschen in ihre Lage!

Liebe Grüße und Euch alles Gute! Ich meine das wirklich nicht böse und ich hoffe, das liest du auch aus meinen Zeilen.
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Ich habe mit Hilfe der Menschen im Krebsforum meine Mutter 2010-2011 bei ihrer Lungenkrebserkrankung (Adenokarzinom) begleitet.
Sie starb Weihnachten 2011.
Danke an alle, die mir geholfen haben. Und alles Liebe für alle, die den Kampf gegen Krebs bestreiten.
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